Julia Dorwarth |
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Bildhauerin |
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Sehr geehrte Damen und Herren,
Julia Dorwarth zeigt heute und für die nächsten 3 Wochen Steinskulpturen, Reliefs und Collagen, in denen der menschliche Körper eine zentrale Rolle spielt. Es ist ganz offensichtlich, dass diese Kunst nicht baut oder rational konstruiert, sondern wie die Natur wächst und die Ablagerungen der Zeit in sich trägt.
Ich kenne einige geschichtete und perforierte "Steincollagen" der Künstlerin, doch auch bei diesen beiden Steinskulpturen "Tor" und "Im Rad" sieht man deutlich, dass sie ihre Plastiken gerne für Höhlungen, Risse und Durchbrüche öffnet. Dabei entstehen Arbeiten, die so etwas wie den Schliff der Erosion von Wind und Wetter in sich tragen und oftmals hat man den Eindruck, dass ihre Anregung ganz direkt von Felsen, Bergen, Senken, von der Spannung einer Gebirgsformation kommt. Julia Dorwarth vereint diese plastischen Formen mit dem Wesen von Wachstum und Zerfall und gelangt damit zu Metaphern für den Kreislauf des Lebens. Man könnte daher von einem biomorphen Wesen ihrer Werke sprechen und dies ist sicherlich auch der Grund, warum sich die ausgestellten Arbeiten in ihrer unterschiedlichen Materialität doch überzeugend in einen Gesamtzusammenhang fügen. Denn ob die Künstlerin mit Sandstein, Styropor, Gips oder Wellpappe arbeitet, immer gelangt sie durch den Einsatz der jeweiligen Materialien in eine Darstellungswelt, die den Figuren ein naturnahes doch niemals naturalistisch wiedergegebenes Umfeld zur Seite stellt. Besonders deutlich sieht man dies bei der ersten Arbeit hier vorne. Betrachtet man die Collage, dann sieht man förmlich den Marmor, dem die Künstlerin in diesen 1990er Jahren ganz ähnliche Gestaltungen abgerungen hat. Überhaupt besitzen ihre Collagen einen starken Materialcharakter. Unter Einbeziehung von Packpapier, Wellpappe und Seidenpapier und durch Übermalungen mit Tinte und Farbe greifen sie in den Raum hinein und oftmals wäre die Umsetzung in ein Hochrelief sehr gut vorstellbar.
Bei diesen großformatigen Collagen steht die menschliche Figur besonders stark im Zentrum. Doch auch hier zeigt sich das Bestreben der Künstlerin, die Welt immer wieder mit ganz anderen Augen zu sehen und dazu gehört, dass mitunter auch die Schwerkraft bildlich überwunden wird. Riesig, aufrecht und formatfüllend aber auch winzig klein und gekrümmt - die einzelnen Gestalten oder Paare, werden in ganz verschiedenen äußeren und inneren Zuständen festgehalten. Hier drüben sehen wir beispielsweise eine kleine, inmitten eines Steins zusammengekauerte Figur, die ganz auf sich selbst zurückgeworfen ist. Sie verharrt reglos und wirft die berechtigte Frage auf, ob der Stein sie vor einer feindlichen Umgebung schützt oder sie gefangen hält.
Auch bei dieser Collage (Mitte der Wand hinter mir) könnte man zwei entgegengesetzte Zustände assoziieren. Wird die Figur von einer räumlich nicht näher gekennzeichneten Situation eingeklemmt oder wird sie schützend gehalten? Es fällt überdies auf, dass die Farbigkeit den Charakter der eingesetzten Materialien nicht überflügeln will, ruhig wie die Haltung der Figuren schließt sie sich ihm eher an. Voller Lebendigkeit ist hingegen der Strich, der die Körperhaltungen schnell und zupackend einfängt. Überhaupt ist in den Werken von Julia Dorwarth die Geste immer als Aktion, als Bewegungsspur erkennbar.
Blicken wir nochmals genauer auf die Collagen: Es fällt auf, dass den Figuren, die Eingang in Julia Dorwarths Bildwelt gefunden haben, oftmals die Füße und Hände fehlen, sie damit quasi handlungsunfähig sind. Ihre Wehrlosigkeit wird verstärkt durch ihr Verharren in einem zum Stillstand gebrachten Moment. Die Glieder der Körper entfernen sich nie allzu weit von ihrem Zentrum, die Gesichter sind oftmals vom Betrachter weggedreht oder verfügen über keine individuellen Merkmale. Doch es geht hier auch nicht um Wiedererkennbarkeit. Durch die Zeitlosigkeit ihres Erscheinens und indem sie allgemeingültige, menschliche Zustände festhalten, verfügen sie über eine beeindruckende Präsenz im Hier und Jetzt. Dennoch ist es vielleicht interessant zu erwähnen, dass sich die Künstlerin bei diesen großen Collagen einer sehr klassischen Vorgehensweise bediente, denn sie arbeitete mit Modellen bzw. mit einem Modell. Teilweise handelte es sich nämlich um gar keine Paare, sondern um eine Person, neben der ein Spiegel stand. Das können wir beim Blick auf diese Arbeiten allerdings nicht erkennen, denn Julia Dorwarth lässt durch die Spiegelung keine Verdoppelung entstehen. Es ist eher so, als zeige uns die Künstlerin verschiedene Wege, wie zwei Menschen aufeinander zugehen, in Beziehung treten und sich auch wieder trennen. Die Künstlerin beschreibt dies sehr nuanciert und auch durch Zwischenzustände wie etwa durch das Verharren in einer Hin- oder Wegbewegung. Dazu nutzt sie den Eindruck des "Unfertigen", der von fragmentierten Körpern, gebrochenen Kanten oder gerissenen Papierkonturen ausgeht. Auf diese Weise konzentrieren und verdichten sich emotional erfassbare Momente direkt in der äußeren Form, und ihre lebendig-sinnliche Ausstrahlung bedarf keiner zusätzlichen Wirkungsfaktoren wie einem erzählerischen oder gar anekdotischen Inhalt. So sind diese Figuren und Figurengruppen einfach da und erwecken den Eindruck des Werdenden, sich unaufhörlich Verändernden. Sie verwirklichen eine Vorstellung von Lebendigkeit, welche die Phantasie des Betrachters nicht fixiert, sondern seinem individuellen Erleben Raum gibt.
Über ihre Figürlichkeit sind die Werke von Julia Dorwarth im Benennbaren verankert, dennoch gelingt es ihr, eine Gegenwelt zur sichtbaren Wirklichkeit zu entwerfen. Sie tut dies, indem sie bei der Gestaltung der Werke ihre Ideen oder Vorstellungen von Welt und Wirklichkeit weiterdenkt, sie hinterfragt und sich mit der eigenen Innenwelt auseinander setzt.
Im Hinblick auf die Themen und ihre Verarbeitung erprobt die Künstlerin verschiedenste Gestaltungsmöglichkeiten und erweist sich dabei als sehr experimentierfreudig. In ihren ganz neuen Arbeiten hat sie zu einer ungewöhnlichen Technik gefunden. Was hier schwer wie Stein aussieht, ist in Wirklichkeit ganz leicht. Diese beiden Arbeiten hier unten, sowie weitere Reliefs im oberen Geschoss bestehen aus Styropor, dessen Oberfläch durch eine chemische Reaktion so behandelt wurde, dass sich eine zerklüftete, durchbrochene Struktur ergab. Anschließend wurden die Arbeiten mit Gips und Farbe überzogen. Dieses "Fossil", das ja wirklich an einen Ammonit erinnert, verweist darauf, dass diesem intensiven Gestaltungsprozess nicht zuletzt auch der Aspekt "Zeit" eingeschrieben ist. Man könnte fast sagen, dass diese Arbeiten geschichtliche Abläufe enthalten, indem wilde Aushöhlungen entstehen, Masse zu Wirbeln und Kugeln geformt wird und in eine nach allen Richtungen hin ausblühende Bewegung gerät. Ich habe schon angesprochen, dass gerade bei den Skulpturen Erinnerungen an vegetabile Elemente der Natur und ihre dynamischen Wachstumsbewegungen anklingen. So findet Julia Dorwarth in diesen Werken Metaphern für Naturerscheinungen. Sie nähert sich den Formungen der Natur, zieht sich aber gleichzeitig wieder von ihnen zurück. Ihre Skulpturen, Reliefs und Collagen sind daher Funde ihrer Phantasie, welche die Vorstellungskraft des Beschauers in Gang setzen. Was wir hier sehen ist die träumerische Verbildlichung von Seherfahrungen oder von fernen Erlebnissen, die den Filter der Erinnerungen passiert und die Natur in eine poetische, mitunter surreale Welt verwandelt haben.
Sehr geehrte Damen und Herren, den Collagen, Skulpturen und Reliefs von Julia Dorwarth sind Existenzfiguren eingeschrieben. An ihren bröckelnden Konturen und unscharfen Details nagt der Zahn des Raumes, doch die aufgeworfenen, zerklüfteten Oberflächen machen diese Werke lebhaft und präsent. Mich beeindrucken in kompositorischer Hinsicht die spannungsvollen Konstellationen mit ihren verschiedenen Maßstäben und exakt proportionierten Zwischenräumen. Dazu kommt die geschilderte Nähe zum Biomorphen, zu Wachstum und Zerfall. Dabei verschmilzt die Freiheit der Gestaltung auf überzeugende Weise mit der Ausdruckskraft des Materials. Schön verteilen sich die Gegensätze hier im Raum, wo das Kleine schwer und das Große ganz leicht wird.